Der erste 500er
von Karl Werner Tiling
Ein strahlender Frühsommertag, der 28.Mai 2005, sollte das große Ziel bringen. Der Alpfor meldet drei Striche unter 2/8 Cumulus, in FL 120-135, und da gab’s kein Halten mehr. Flugvorbereitung schon am Vorabend, den Außenlandekatalog noch mal studiert, und bereits um 8 Uhr reiht sich der Discus am F-Schlepp der DASSU in Unterwössen ein. Die erfahrenen Kameraden des Alpenflugzentrums raten, zuerst nach Osten, dann so weit es geht nach Westen, den von SW her spätnachmittags angesagten Gewittern entgegen. So bleibt der Rückweg frei.
Unterwössen-Niederöblarn-Landeck lautet das FAI-Dreieck, das ich respektvoll zum ersten Mal in den Logger übertrage. Der Samburo schleppt mich zum Jochberg, und gegen 11 Uhr klinke ich aus. Spät beginnt die Thermik in der warmen Luft, zunächst will es gar nicht recht gehen. Dann aber an der östlichsten Rippe ein enger, kräftiger Bart, den ich mit 3 Metern zentrieren kann. Schneller als erwartet sind 1000 Höhenmeter gewonnen, und die Hitze des Talkessels bleibt im Dunst zurück. Über dem Rehwaldkopf ein Blick hinunter im Gedenken an Sarah, die von dort nicht mehr zurückgekommen ist. Wie gerne wäre sie heute mitgeflogen…
An der Hörndlwand kreisen bereits viele bunte Gleitschirme. Zum Glück brauche ich die dort zuverlässige Thermik nicht, die Höhe erlaubt mir ein Weitergleiten bis zur Steinplatte. Mühsam ist es dort am Vormittag, ich kämpfe um einige hundert Höhenmeter, die mich zum Ulrichshorn an die Loferer Steinberge bringen. Mit zähem Steigen am kalten Fels entlang komme ich nicht über Gipfelniveau, doch der Blick in den Pinzgau zeigt eine schon prächtig entwickelte Thermiklandschaft. Da muß es doch so richtig gehen!
Schnell weiter zu den Leogangern, die mich tief unter Grat ohne Steigen empfangen; das Steinerne Meer, wo eine Wolkenstraße lockt, ist jetzt zu weit entfernt. Also bleibt nur der Weiterflug zur Sausteigen, schlimmstenfalls eine Landung auf dem freundlichen Platz in Zell am See. Doch es gelingt mir, über Grat anzukommen, so daß es reicht bis zur Schmittenhöhe. Dort endlich steht ein wunderbarer Cumulus, rasch gewinne ich kreisend wieder Luft unter den Flächen, nehme mir die Zeit ein wenig durchzuschnaufen und quere mit 2400m MSL auf Kurs den tiefblauen Zeller See unter mir.
Am Hundsstein hängen tiefe Wolken, und ich habe Mühe die Höhe zu halten. Soll das wirklich der angesagte Hammertag sein? Zweifel kommen auf, ob ein Weiterflug nach Osten möglich ist. Wie war das doch gleich mit dem unlandbaren Tal östlich von Zell? Da gibt mir ein Funkspruch von Jens Mut zur richtigen Zeit: Basis am Dachstein bei 3500m, ausgezeichnete Bedingungen Richtung Osten.
Also doch weiter! Vorsichtig vorfliegend, mit dem besten Gleiten und der 300-Schilling-Außenlandewiese als Sicherheit unter mir, geht’s über das breite Tal hinüber zum Rossbrand. Da packt ein gewaltiger Aufwind den Discus, reißt ihn in ein paar Kreisen auf über 3000 m, das Vario am Anschlag, und oben öffnet sich eine Wolkenstraße wie im Bilderbuch.
Schon ist der Dachstein erreicht, links fallen riesige Kalkfelswände in die Tiefe und in der Ferne zeichnet sich der Grimming ab. Das Vorfliegen ist jetzt das reinste Vergnügen: Knüppel nach vorne, mit 150km/h immer noch Steigen, kreislos im Delfinflug bis zur Wende. Trotz dieser Leichtigkeit gilt es gut aufzupassen, denn anscheinend ist alles was fliegt heute auf dieser Rennstrecke unterwegs.
Der Grimming, darunter der Flugplatz Niederöblarn.
Der Felsriegel erweist sich als prima Thermikquelle
Einige Male muß ich schnell ausweichen, und das FLARM leistet gute Dienste. Hoffentlich haben bald alle Alpenflieger diese super Unterstützung in der Luftraumbeobachtung. Um etwa 14 Uhr ist die erste Wende am Grimming erreicht, mit dem Flugplatz Niederöblarn darunter. Glücklich drehe ich ein paar Kreise; noch nie ist es mir gelungen, so weit nach Osten zu kommen.
Doch nun liegen 250 km Richtung Westen vor mir. Wieder im Geradeausflug geht’s zurück, genauso schnell. Über dem Pinzgau steht jetzt ein mächtiger Cumulus, er sieht nach Überentwicklung aus. So ein Gebilde saugt die Thermik großflächig ab, ich muß es irgendwie umfliegen. Im Funk höre ich mit, daß die Tauernseite gut geht, und so wechsle ich einer Wolkenstraße folgend, ohne Höhenverlust an die Hauptkammseite. Rasch geht es dort voran, ich quere die Tauernautobahn und am Bernkogel beim Gasteinertal erreiche ich wieder bekannte Gefilde.
Am Hauptkamm zwischen dem Großglockner und dem Großvenediger gleicht eine Talrippe der nächsten, vorbei geht es an Kaprun und dem Felbertauerntunnel. Wie türkisblaue Augen leuchten auftauende Gletscherseen aus den verschneiten Hochflächen, unten grüne Täler und Wasserfälle. Festspiele der Natur, ein paar Kreise zum Verweilen? Doch heute zählt die Strecke.
Krimml und der Gerlos sind passiert. Im Zillertal stehen hoch aufgetürmte Wolken, sind das bereits die Gewitter? Zweifel über den Weiterflug beschleichen mich, bald schon wieder Neuland hinter dem Brenner! Da sehe ich neben mir ein vertrautes, unverkennbares Flugzeug: die SB-5 von Vereinskamerad Martin. Er war bis Timmersdorf vorangekommen und will jetzt auch weiter nach Westen (sein Flug bringt ihm den 1. DMSt-Platz in der Club-Klasse). Ein kurzer Funkspruch, und ich darf mich dranhängen.
Und sehe mal, wie ein Könner fliegt: Tief, schnell, geradeaus, dem Relief folgend, und treffsicher genau in den nächsten Bart hinein. Gerade gelingt es mir mal, mit dem Discus dranzubleiben. So geht’s am Olperer vorbei, dort liegt der Hintertuxer Gletscher heute ruhig in der Sonne, den sonst die Skifahrer bevölkern.
Kurz nach 16 Uhr überqueren wir den Brenner und folgen dem Stubaital in die Ötztaler Gletschergiganten hinein. Die CTA Innsbruck Süd hinter uns, können wir in noch immer kräftiger Thermik auf 3800 m MSL an die Grenze zum Luftraum C steigen. Für mich schon wieder ein Rekord! In der Ferne sind bereits Tschirgant und der Venetberg, meine 2. Wende bei Landeck, zu erkennen – wäre im Gleitflug leicht erreichbar! Doch über den italienischen Bergen baut nun auf breiter Front ein Gewitter auf. Unheimlich sehen jetzt die Gletscher vor der schwarzen Kulisse aus. Wenn das herüberkommt…! Ich entschließe mich zum Umkehren, FAI-Dreieck hin- oder her. Martin gibt mir noch ein paar Tipps für den Rückflug, er will noch etwas weiter. Problemlos geht’s über das Zillertal zurück, doch dann in der schwächer werdenden Thermik braucht es immer mehr Zeit zum Kurbeln, um die Höhe zum Heimgleiten zu halten. Trotzdem komme ich voran bis Mittersill. Unter einer der letzten Wolken des Tages arbeite ich mich nochmal an die Basis heran.
Dann will ich den Flug sicher nach Hause bringen. Aus 3300 m Höhe kann ich entspannt das letzte Teilstück zurück nach Unterwössen hinausgleiten. In absolut ruhiger Luft, nur das leise Rauschen der Flächen in der Strömung ist zu hören, schwebt die weiße Orchidee fast ohne eine Steuerbewegung vom Alpenhauptkamm schier endlos in das Flachland hinaus.
Dieser Teil des Streckenfluges ist zum Genießen da, und heute natürlich ganz besonders! Golden schimmert der Chiemsee in der Abendsonne unter meiner letzten Wende. Ein Traum ist in Erfüllung gegangen.
Nach 7:50h Flugzeit und 540km Strecke setzt der Discus um 18:50 auf dem Asphalt in Unterwössen auf.